Ihr wundert euch vielleicht ein wenig, warum wir hier das Thema Smartwatch bisher nur am Rande angesprochen haben. Um zu erklären, warum das so ist, möchte ich ein wenig ausholen. Wir beginnen am Tag, nachdem Apple die technischen Feinheiten seiner Smartwatch präsentiert hat. Es ist kurz nach zwölf Uhr und ich habe mich mit einem Bekannten zum Mittagessen getroffen. Wir warten auf unsere Spagetti Carbonara, als er von seinem iPad aufschaut, mich anblickt und die Augenbrauen hebt: „Nur 18 Stunden Akkulaufzeit?“ Was man über meinen Begleiter wissen muss: Er ist Art Director in einer kleinen, aber feinen Werbeagentur, erklärter Apple-Jünger und stets mit dem neuesten Frischobst aus Cupertino unterwegs. Bisher jedenfalls. Denn ich bin zugegebenermaßen nicht ganz unschuldig daran, dass er sich mittlerweile auch in der Uhrenwelt ganz gut auskennt. Und daher weiß er, dass 18 Stunden Autarkie selbst für einen mittelmäßigen mechanischen Zeitmesser einfach lächerlich sind. Daher kann er die Apple Watch auch nicht als Uhr ernst nehmen.
Aus der Sichtweise eines Smartphoneherstellers
Und damit kommen wir zum Grundproblem: Die meisten Hersteller von Smartwatches sind bei der Entwicklung mit der Sichtweise eines Smartphoneherstellers an das Thema herangegangen. In deren Welt ist es vermutlich ganz normal, dass man abends sein Gerät ans Stromnetz hängt. Diese Sichtweise ist natürlich nicht verwerflich. Gegenüber einer konventionellen mechanischen Uhr bieten sich zumindest auf dieser Ebene keinerlei Vorteile. Eine Gangautonomie jenseits der 36 Stunden ist hier vollkommen normal. Mittlerweile lassen sich Kraftvorräte für bis zu zehn Tage im Federhaus speichern und abrufen. Und selbst wenn der Energievorrat zu Ende geht, benötigt man kein Stromnetz zur Energiezufuhr: Eine getragene Automatikuhr erledigt das bei jeder Armbewegung ganz alleine; bei einer Handaufzug reicht es, gelegentlich mit zwei Fingern an der Krone zu drehen. Übrigens ist letztere keine Erfindung Apples. Vielmehr hat Abraham Louis Breguet das kleine Rädchen zum Aufziehen und Einstellen der Funktionen erstmalig eingesetzt. Und da wir gerade beim großen Breguet sind: Wer möchte daran zweifeln, dass seine ab 1783 geschaffene Marie Antoinette (N° 160) smart ist? Schließlich sind in ihr neben Uhrzeit unter anderem Zeitgleichung, Minutenrepetition, Ewiger Kalender, Gangreserveanzeige, Temperaturanzeige vereint.
Was ist sinnvoll?
OK, auf das Herunterladen von Apps muss man bei einer klassischen Uhr verzichten. Klar, bei den Funktionen jenseits der Zeitmessung kann die Smartwatch ihre Vorteile ausspielen. Allerdings ist mir beim Durchblättern der Angebote bislang keine App aufgefallen, die sich ausschließlich auf der Smartwatch sinnvoll nutzen ließe und die das Smartphone daher überflüssig machen könnte. Das wird es ohnehin nicht, solange eine Smartwatch nur dann ihren Zweck erfüllt, solange sie mit dem passenden Smartphone gekoppelt ist.
Bleiben also das Design und die gute Verarbeitung. Hier hat Apple tatsächlich wieder einmal vorgelegt. Aber: Warum sollte ich also mehrere hundert Euro für schickes Design und gute Verarbeitung ausgeben, wenn ich dieses alle paar Stunden mit neuem Strom versorgen muss? Und daher wird mein Tischnachbar weiter auf die neue Sinn sparen, mit der ich ihn im Herbst angefixt habe.
Die Sicht der Uhrenhersteller
Nein, die Smartwatch hat mit der klassischen Uhr sehr wenig zu tun. Vielmehr ist es so, dass sich hier langsam eine neue Art des Accessoires fürs Handgelenk etabliert, die eine Co-Existenz mit der Uhr eingehen wird. Motorrad und Auto sind eben auch nur Artverwandte, die beide die Straße benutzen, aber eben unterschiedliche Zielgruppen ansprechen. Das eine wird das andere aber nicht verdrängen.
Und genau aus diesem Grund werden wir bei Jewelblog das Thema Smartwatch in erster Linie aus der Sicht der Uhrenliebhaber beleuchten.
Damit können wir gleich loslegen. Denn die Uhrenhersteller haben sich, spätestens seitdem die ersten Gerüchte über Apples Smartwatchpläne durch das Netzt waberten, ebenfalls des Themas angenommen.
Wir stellen euch fünf aktuelle Konzepte vor:
Frédérique Constant und Alpina
Bei Frédérique Constant und deren Schwestermarke Alpina habe ich während der Baselworld erste Serienmodelle intelligenter Uhren sehen können. Für die Swiss Horological Smartwatch haben die Eigentümer der beiden Marken mit der im Silicon Valley ansässigen Fullpower Technologies ein Joint Venture gegründet. Der gestalterische Clou der Uhr: Die Smart-Funktionen werden nicht über ein Display dargestellt, sondern über zwei Zeiger, die sich bei sechs Uhr anordnen.
Die Uhr sammelt kontinuierlich Informationen zu Aktivität und Schlaf, die in Echtzeit auf dem analogen Zifferblatt angezeigt werden und automatisch mit Apps auf Apple- und Android-Smartphones synchronisiert. Die iOS- und Android-Apps zeigen anschließend mithilfe von einfachen und gut verständlichen Grafiken, wie viel Bewegung und Schlaf der Träger der Uhr im Laufe des Tages, der Woche oder des Monats hatte. Diese Daten helfen den Nutzern, sich selbst besser zu verstehen und verbessern zusammen mit angemessenen Zielsetzungen und einem intelligenten Coaching ihr Wohlbefinden. Für einen besseren Schlaf und aktiveren Lebensstil zu sorgen, gilt weithin als einfache, aber effektive positive Verhaltensänderung.
Bulgari
Auch die Diagono Magnesium Intelligent Watch von Bulgari fand beim Publikum große Beachtung. Äußerlich ist sie wie die Modelle von Alpina und Frédérique Constant von einer herkömmlichen Uhr zu unterscheiden. Doch ihre inneren Werte lassen aufhorchen. Denn Bulgari arbeitet mit der WISeKey CyberSecurity Technologie. Da deren Online-Speicher in der Schweiz stehen, verspricht Bulgari einen hohen Datenschutz. Mithilfe der kryptographischen Chiffre, welche in der Diagono Magnesium Intelligent Watch eingespeichert ist, soll man in naher Zukunft das eigene Smartphone aktivieren, die Haustür oder elektronische Verriegelungen am Arbeitsplatz öffnen, die eigene Alarmanlage aktivieren oder entschärfen können. Hält man beispielsweise die Diagono Magnesium an ein Smartphone oder Tablet, lässt sich auch die Bulgari Tresor-App entsperren. Und auch an ein kontaktlos Bezahlen von Waren mit NFC ist gedacht. Die hohen Sicherheitsstandards von WISeKey versprechen dabei, dass der Besitzer der Uhr jederzeit Herr über seine eigenen Daten bleibt: „Die Tage, in denen unzählige technische oder digitale Zugangsdaten und Schlüssel zum Öffnen von Türen notwendig sind, gehören mit der Diagono Magnesium der Vergangenheit an – Ihr Schlüssel ist in der Uhr und immer bei Ihnen“, so Carlos Moreira, CEO von WISeKey.
TAG Heuer
Es sei die wichtigste Ankündigung in seinen 40 Jahren im Geschäft verkündete TAG-Heuer-Chef Jean-Claude Biver gleich am
ersten Messetag. Der marketingerfahrene Luxemburger vermeldete nämlich eine Kooperation von TAG Heuer, Google und Intel mit dem Ziel, eine intelligente Uhr zu bauen. TAG Heuer wird dabei die horologische Hardware liefern, Google steuert die Android-Software bei und von Intel werden die Chips kommen. Pikant dabei: Noch vor kurzem hatte Biver das Thema Smartwatch heruntergespielt, sich andererseits aber beklagt, dass Apple Abwerbeversuche für Mitarbeiter seiner zweiten Firma Hublot betreibe. Zudem war im vergangenen Jahr ein namhafter TAG-Heuer-Manager zu Apple gewechselt.
Die drei Unternehmen wollen nach eigenen Angaben eine „luxuriöse und intelligente Smartwatch herstellen, die sich nahtlos in die Lebenswelt ihres Trägers einfügt und neue Maßstäbe hinsichtlich Innovation, Kreativität und Design setzt.“ Prototypen der neuen Zeitmesser waren bislang allerdings nicht zu sehen. Laut der Nachrichtenagentur Reuters soll sich die Smartwatch in die Carrera-Linie einreihen. Am Rande der Pressekonferenz betonte Biver: „Die Leute werden den Eindruck haben, dass sie eine normale Armbanduhr tragen.“ Zudem sagte er, dass die Uhr bereits im vierten Quartal 2015 in die Läden kommen solle.
Breitling
In den Hinterzimmern des Breitling-Stands auf der Baselworld konnte man in diesem Jahr die ersten Prototypen eines Zeitmessers aus der Professional-Linie betrachten und testen, mit denen die Grenchener Manufaktur die Verbindung zwischen Uhr und Datenwelt schaffen will. „Unser Ziel ist es, dass die Uhr der Boss bleibt“, wurde bei der Präsentation betont. Damit meinen die Breitling-Techniker, dass sie nicht versuchen wollen, eine maximale Anzahl an Funktionen auf die Uhr zu holen, sondern eine Bluetooth-Verbindung zwischen Uhr und Mobilgerät wird dazu genutzt, um Funktionen wie zweite Zeitzone, Countdown-Timer oder Flugzeitenmessung leichter einstellen zu können. Gleichzeitig lassen sich die Daten aus der Uhr auslesen und auf dem Mobilgerät speichern und bei Bedarf an Dritte übermitteln. Die Technik und die dazugehörige App sind weitgehend serienreif. Allerdings will Breitling die Innovation nicht in einem bekannten Uhrenmodell lancieren, sondern entwickelt im Augenblick ein neues Modell. Kurz gesagt: Breitling sucht nicht nach neuen Zielgruppen, sondern wird einer seiner wichtigsten Zielgruppen – Piloten – ein verbessertes Hilfsmittel zur Seite stellen.
Swatch Group
Bereits auf ihrer Bilanzpressekonferenz vor der Baselworld verkündete die Swatch Group ihre Antwort auf die Smartwatch. Bis zum Sommer soll die Swatch Touch auf dem Markt sein, deren zentraler Zusatznutzen eine Bezahlfunktion sein wird. Die neuen Uhren sollen den NFC-Standard nutzen, erklärte Swatch-Chef Nick Hayek. NFC ist ein international anerkannter Übertragungsstandard zum Austausch von Daten per Funk. Um die Bezahldienste anbieten zu können, kooperiert der Uhrenhersteller mit China Union Pay, der einzigen in China zugelassenen Kreditkarten-Organisation, einer Schweizer Bank und einer Kreditkartenfirma. Die Namen der Letzteren wurden bisher aber nicht bekannt gegeben. Zudem hat Hayek angekündigt, 18 weitere Funktionen in die Uhren zu integrieren. Auf Telefonfunktionen wird Swatch aber verzichten. „Das können andere machen“, so Hayek am Rande der Pressekonferenz. Spannend ist diese Entwicklung vor allem, da Hayek nicht ausschließen wollte, dass auch andere Marken des Konzerns (z.B. Omega, Tissot oder Hamilton) die Technologie nutzen könnten.
Fazit
Anders als bei den Konzepten von Apple, Samsung, Motorola und Co. stellen die Uhrenhersteller die eigentliche Funktion der Uhrzeitanzeige also klar in den Mittelpunkt und fügen sinnvolle Elemente hinzu, die Funktionalität oder Bedienbarkeit verbessern, ohne vom eigentlichen Zweck der Uhr abzulenken. Die Uhren werden also nicht zu spielerischen Wearables, sondern behalten ihren hochwertigen und individuellen Charakter. Und was meinen Bekannten mit dem Thema versöhnen könnte: Allen Konzepten ist gemeinsam, dass die Techniker bei ihnen die Energiereserven ganz oben im Lastenheft angesiedelt haben. Laufzeiten von bis zu zwei Jahren versprechen, dass man die Funktionen auch dann noch nutzen kann, wenn mal über längere Zeit keine Steckdose oder Powerbank in der Nähe ist.
Aufmacherfoto: Peter Freitag / pixelio.de