Das erste Septemberwochenende hatte es in sich: Überall auf der Welt fanden Schmuckmessen statt und die Hersteller nutzten die Chance, ihren Händlern rechtzeitig vor der Weihnachtszeit ihr Angebot noch einmal schmackhaft zu machen. Normalerweise besuchen wir die Midora in Leipzig – zum einen aus regionaler Verbundenheit und zum anderen, weil die Messe Leipzig sehr schön ist. Da hier aber vor allem Ordergeschäfte getätigt werden und es für die Presse nicht allzu viel Neues zu sehen und zu erfahren gibt (immerhin ist der Hauptschauplatz in Sachen Schmuck noch immer die Inhorgenta in München ein halbes Jahr zuvor), beschlossen wir in diesem Jahr, uns doch einmal international umzusehen. Doch welche Messe sollte es sein? Die Bijorhca in Paris, die IJL in London, die Vicenzaoro in Italien oder die Madridjoya in Spanien? Der Weg nach Thailand zur Bangkok Gems & Jewelry Fair und nach Hongkong zur Hong Kong Watch & Clock Fair schieden wegen der Entfernung aus. Unsere Wahl fiel schließlich auf London, da wir den englischen Schmuckgeschmack am wenigsten kannten und weil die International Jewellery London zudem ihr 60., sprich diamantenes Jubiläum feierte.
Die Messe fand in der 1886 errichteten Olympia Grand statt, einer Halle mit unglaublich viel Charme. Die luftige Architektur trug zur angenehmen Atmosphäre bei, ebenso die gut gefüllte Halle. Der von uns wahrgenommene Zuspruch der Messe wird durch die offiziellen Zahlen im Abschlussbericht bestätigt: Die IJL verzeichnete 550 Aussteller aus 38 Ländern und damit 155 mehr als im Vorjahr. Die Besucherzahlen stiegen um 5 Prozent, wobei Gäste aus über 40 Ländern nach London fanden.
In Sachen Schmuck halten es die Briten etwas zurückhaltender und traditioneller als wir. Mein subjektiver Eindruck: viel Klassik, oft mit antiken Anklängen und trotz Diamanten und Edelsteinen eher dezent. Klare Linien, strenge Geometrie und Bauhausanleihen waren nicht zu finden. Statt „oh wie toll“ überwog „ach wie hübsch“. Statt Wow-Effekt schöne Alltagsstücke, die gefallen, aber so sehr zum Teil des Selbst werden, dass man sie vergisst und womöglich auch des Nachts trägt. Beobachtungen unterwegs – zum Beispiel in der U-Bahn – bestätigten diesen Eindruck als vermutlich vorherrschenden Geschmack. Kaum Statementschmuck, sondern viel dezentes an Hand, Hals und Ohr. Wenig Armschmuck und wenn, dann zurückhaltend. Kleine Ohrstecker statt auffallender Ohrhänger. Bei genauer Betrachtung zeichnet sich dieses Bild aber auch vermehrt bei uns ab, so dass die Zuordnung „britisch“ nicht ganz richtig wäre. Der aktuelle Zeitgeist – nicht nur in Sachen Schmuck – scheint ruhig, zurückhaltend, klassisch konservativ. Zarte und filigrane Designs laufen den großen Stücken den Rang ab. Es wird verspielter, organischer, fließender. Purismus und Designstatements sind zwar immer noch zu finden, passen sich aber trendgerecht an und werden kleiner, feiner, schmaler. Vielleicht verwandelt sich Schmuck gerade vom Ausdrucks- und Stilmittel zum universellen Alltagsbegleiter, der gern auch nahezu unsichtbar sein kann? Vielleicht ist Schmuck inzwischen weniger Accessoire, sondern mehr ein „integriertes Körperteil“ bzw. hübsches Beiwerk? Was meint ihr?